Mit dem ICM am Final Table

by | Jul 31, 2018

Du hast dich den ganzen Tag oder vielleicht auch mehrere Tage lang durchgekämpft und sitzt endlich am Final Table.  In der Regel sind 9 oder 10 Spieler am letzten Turniertisch versammelt und meist dauert es nicht lange, bis die ersten Spieler gehen müssen. Wenn du dann gerade glaubst, du hast eine echte Chance auf den Turniersieg, kommen die anderen Spieler auf dich zu und fragen dich, ob du nicht Interesse an einem Deal hättest. Das Problem ist nur: Du hast keine Ahnung, ob der angebotene Deal gut ist! Was nun?

Ein Final Table funktioniert genauso wie ein Sit ‘n’ Go

Zunächst einmal musst du dir klarmachen, dass alle Spiele, die hinter dir liegen, keine Rolle mehr spielen. Maßgeblich für dich ist nur noch die aktuelle Situation und diese stellt sich genauso dar wie ein mehr oder weniger weit fortgeschrittenes Sit ‘n’ Go. Das mag dir vielleicht zunächst unwichtig erscheinen, aber die Sit ‘n’ Go-Spezialisten unter euch werden sofort einen Gedanken haben: Independent Chip Model (ICM)!

Was ist das Independent Chip Model und wie kann es mir helfen?

Das Independent Chip Model ist ein mathematisches Modell, das den wahrscheinlichen Gewinn (Durchschnitt auf lange Sicht) auf der Basis der Chip-Verteilung am Tisch ermittelt. Dahinter steckt z.B. die Idee, dass ein Spieler, der sehr wenige Chips hat, am Ende auch nur relativ wenig Preisgeld bekommen wird. Dahingegen hat der Spieler mit den meisten Chips eine sehr gute Chance auf einen hohen Gewinn. Bevor das Ganze aber zu einer Mathe-Vorlesung wird, behelfen wir uns lieber mit einem Beispiel aus der Praxis:

Du hast gut gespielt und sitzt mit 2 weiteren Spielern am Final Table. Insgesamt sind 100.000 Chips im Umlauf. Die Chip-Verteilung ist wie folgt:

  • Spieler 1: 50.000 Chips
  • Spieler 2: 30.000 Chips
  • DU: 20.000 Chips

Die Preisgeldverteilung ist wie folgt:

  • Platz: 100.000 Euro
  • Platz: 50.000 Euro
  • Platz: 10.000 Euro

Die Eingabe dieser Werte in einen ICM-Deal-Rechner [www.pokerfirma.com/icm-dealrechner] ergibt folgende Verteilung:

  • Spieler 1: 68.571 Euro (42,9 Prozent vom Gesamt-Preisgeld)
  • Spieler 2: 52.000 Euro (32,5 Prozent vom Gesamt-Preisgeld)
  • Spieler 3: 39.429 Euro (24,6 Prozent vom Gesamt-Preisgeld)

Diese Werte verwirren dich vermutlich, wenn du noch nie etwas vom Independent Chip Model gehört hast, denn wie kann es sein, dass du nur 20 Prozent der Chips hast, aber trotzdem 24,6 Prozent vom Preisgeld bekommen sollst? Ist das nicht unfair? Wenn du dich mit dem ICM nicht auskennst und clevere Gegner am Final Table hast, wirst du das vielleicht glauben und mit 20 Prozent des Gesamt-Preisgelds zufrieden sein. In diesem Fall hätten deine Gegner dich aber reingelegt.

Warum Chips und Geld nicht gleichwertig sind am Final Table

Die Milchmädchen-Rechnung, die auf einen Gewinnanteil von 20 Prozent für dich kommt, basiert auf der simplen Idee, dass der Anteil am Gesamt-Preisgeld genauso groß sein sollte wie der Anteil deiner Chips an den Gesamt-Chips. Klingt doch auch einleuchtend oder? Blöd ist nur, dass die Wahrscheinlichkeitstheorie zu anderen Schlussfolgerungen kommt, die wir im Einzelnen hier nicht darlegen möchten (verschärfte Oberstufenmathematik!), die aber zu einer wichtigen Erkenntnis führt:

Die Chips, die ein Spieler verliert, haben in der Regel nicht den gleichen Wert wie die Chips, die ein Spieler gewinnt. Um das zu illustrieren nehmen wir einfach einmal an, du hättest dich nicht auf einen Deal eingelassen und deinen Chipstand zu Ungunsten von Spieler 1 um 10.000 Chips erhöht. Die Chip-Verteilung sieht jetzt so aus:

  • Spieler 1: 40.000 Chips
  • Spieler 2: 30.000 Chips
  • DU: 30.000 Chips

Der ICM-Rechner spuckt als Gewinnverteilung das Folgende aus:

Spieler 1: 59.714 Euro (37,32 Prozent vom Gesamt-Preisgeld) à Veränderung: – 8.857 Euro

Spieler 2: 50.143 Euro (31,34 Prozent vom Gesamt-Preisgeld) à Veränderung: – 1.857 Euro

Spieler 3: 50.143 Euro (31,34 Prozent vom Gesamt-Preisgeld) à Veränderung: +10.714 Euro

Spieler 1 verliert 10.000 Chips, aber nur 8857 Euro, während du 10.000 Chips gewinnst, die aber am gleichen Tisch 10.714 Euro wert sind.

Wichtig ist an dieser Stelle nicht, dass du genau verstehst, warum das so ist. Du musst nur wissen, dass du nicht einfach den Chip-Anteil nehmen kannst, um deinen Gewinn ausrechnen. Wenn Ihr Interesse an der Mathematik hinter dem Independent Chip Model habt, lasst es uns wissen. Wenn sich viele Interessenten in den Kommentaren melden, gehen wir auf diese Thema gerne umfassend ein.

In der Praxis genügt es aber vollkommen, wenn du weißt, dass du weißt, dass es das Independent Chip Model gibt. Am Final Table kannst du vor einem Deal mit einem ICM-Rechner überprüfen, ab wann ein Deal für dich (mathematisch) fair ist. Ebenso kannst du mit einem ICM-Rechner aber auch ein eigenes Deal-Angebot vorbereiten.

Der ICM-Rechner liefert nur Statistik – Weitere Entscheidungsfaktoren

Am Final Table kann dir der ICM-Rechner nur einen Anhaltspunkt dafür liefern, ob sich ein Deal für dich lohnt. Du solltest darüber hinaus aber auch noch andere Faktoren berücksichtigen, denn das  Independent Chip Model setzt zum Beispiel voraus, dass alle Spieler das gleiche Spielniveau haben. Das ist in der Praxis aber nur selten der Fall. Im Folgenden findest du die wichtigsten Kriterien, die du bei der Deal-Bewertung neben den Werten aus einem ICM-Rechner in die Entscheidungsfindung einbeziehen solltest.

Wie groß ist mein Risiko, wenn ich weiterspiele?

Wenn du einen Deal ablehnst, fällst du im ungünstigsten Fall auf die niedrigste noch vorhandene Gewinnstufe zurück. Im obigen Beispiel wären das 10.000 Euro. Mit einem Deal könntest du wahrscheinlich ein Preisgeld von annähernd 40.000 Euro erreichen. Wenn es dumm läuft, verlierst du also knapp 30.000 Euro, die du sicher bekommen könntest. Dafür verzichtet so aber auch auf die Chance, 100.000 Euro zu gewinnen. Je höher der bereits sichere Gewinn ist, desto leichter sollte es dir fallen, auf einen Deal zu verzichten.

Wie stark sind meine Gegner?

Wenn du nur mit viel Glück an den Final Table gekommen bist und schnell das Gefühl bekommt, dass du gegen übermächtige Gegner spielst, solltest du einen Deal vielleicht auch dann akzeptieren, wenn das Angebot unter dem errechneten ICM-Wert liegt, solange du dich deutlich verbessert ist im Vergleich mit dem Preisgeld, das du bereits sicher hast.

Wie fühle ich mich?

Ein Pokerturnier ist eine anstrengende Sache und es kann durchaus sein, dass du körperlich und psychisch am Ende des, wenn du endlich am Final Table angekommen bist. Wenn du selber merkst, dass du unkonzentriert bist, Fehler beim Spielen machst und wahrscheinlich zu einem leichten Opfer deiner Gegner wirst, solltest du einen guten Deal wahrscheinlich annehmen.

Wie gut kennst du dich mit dem Independent Chip Model aus?

Am Final Table kannst du alle All-In-Situationen zielsicher mit dem Independent Chip Model entscheiden. Wenn du dich mit dem ICM nicht auskennst, hast du vielleicht einen deutlichen Nachteil gegenüber deinen Gegnern und solltest einen guten Deal eher akzeptieren als ablehnen.

Fazit: Ein ICM-Rechner ist ein unverzichtbares Werkzeug, wenn es darum geht, einen fairen Deal an einem Final Table auszurechnen. Aber verlasse sich nicht alleine auf die Zahlen, sondern berücksichtige die gesamte Situation am Tisch, damit du eine fundierte Entscheidung treffen kannst. Tipp: Auch ambitionierte Sit ‘n’ Go-Spieler kommen nicht ohne ICM-Rechner aus. Aber das ist ein ganz eigenes Thema, zu dem es demnächst viele interessante Artikel bei uns geben wird.